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Eine kleine Geschichte

Die fremde Frau

Er hatte mich zutiefst verletzt. Mir die große Liebe versprochen. Und ich war auch noch auf ihn hereingefallen. Sie lag jetzt schon fast drei Monate zurück. Die Nacht, in der er mich betrogen hatte. Mit einer attraktiven Blondine. Schönes langes Haar, eine perfekte Figur und eine tolle Ausstrahlung. Kurz gesagt, mit einer Frau, die alles zu bieten hatte, was mir fehlte, und der wohl kein Mann widerstehen konnte, sofern er normal war. Wahrscheinlich war es nicht die einzige Affäre gewesen, die er hatte, während wir zusammen waren. Nur die einzige, die ich mitbekam. Er hatte mich ausgenutzt, unter meinem Dach gewohnt, und ich Idiot hatte ihn auch noch durchgefüttert. Wäre ich nicht einen Tag früher aus dem Urlaub mit meiner Mutter nach Hause gekommen, um ihm eine Freude zu machen, dann wäre ich wohl heute noch glücklich mit ihm. Ohne zu wissen, was für ein Arschloch er doch ist. So gesehen, hätte mir nichts besseres passieren können. Obwohl ich in jener Nacht am liebsten gestorben wäre. Schließlich hatten mich die beiden ganz schön schockiert, wie sie da in meinem Bett lagen. Noch heute spukte dieses Bild in meinem Kopf herum. Nachdem ich sie erwischt hatte, warf ich ihn raus. Kompromisslos. Und endgültig. Doch meine Stimmung blieb im Keller. Ich konnte diesen Anblick nicht mehr ertragen, den Anblick der Räume, der Einrichtung, der mir die Luft zum Atmen abschnürte. Kurz vor dem Erstickungstod zog ich einen Schlußstrich. Also ließ ich mein bisheriges Leben hinter mir, kündigte meinen Job und fing neu an, in einer anderen Stadt. Und nun stand ich da. Es war nicht einfach gewesen. Die Suche nach einer Wohnung, nach einer Arbeit. Aber allmählich war ich wieder auf dem richtigen Weg, mein Chaos zu ordnen.

Ich sah sie zum ersten Mal an einem kalten Novemberabend in einer Kneipe. In meiner neuen Arbeit fühlte ich mich mittlerweile auch sehr wohl, ja, ich hatte sogar schon Freunde gefunden. Zwar hauptsächlich Kollegen, aber immerhin waren ein paar ganz nette dabei. An diesem Abend hatte ich eigentlich keine Lust, rauszugehen, dennoch ließ ich mich breitschlagen, mit ihnen durch die Kneipen der Stadt zu ziehen. Während ich so über meinem Glas Bier saß und belustigt am Gespräch teilnahm, bereute ich in keiner Weise, mitgekommen zu sein. Und da sah ich sie am Nachbartisch. Eine Frau, jung, vielleicht Mitte zwanzig. Sie gehörte zu den Menschen, die jene Lebensfreude versprühten, die allen anderen signalisierte: ich mache im Leben nur das, was mir Spaß macht. Ihr dunkles Haar trug sie kurz, und sie hatte helle Augen, deren Ausdruck mich seltsam, fast sogar etwas unheimlich, aber doch faszinierend, berührte. Diese Frau sah mich direkt an, und obwohl ich nicht wußte, weshalb, starrte ich zurück. Ich konnte mein Gesicht nicht von ihr abwenden. So sehr ich auch versuchte, dem Gespräch meiner Kollegen zu folgen, es gelang mir einfach nicht. Ich fühlte mich wie hypnotisiert, wobei die Laute um mich herum immer undeutlicher wurden. Verursacht durch diese Augen. Als ich jedoch einen plötzlichen Schmerz verspürte, war ich sofort wieder hellwach. Einer meiner Freunde hatte mich mit flacher Hand auf den Oberarm geschlagen, nachdem ich auf wiederholtes Zurufen nicht reagiert hatte. Die Anderen wollten gehen, es war schließlich schon spät geworden. Wir zahlten und brachen dann auf. Als ich meinen Blick wieder auf den Nachbartisch richtete, war die Frau verschwunden.

Eine Freundin hatte mich zu einer Party eingeladen. Und nun stand ich inmitten einer Schar wild durcheinander plappernder Leute, die ich größtenteils nicht kannte. Die Musik dröhnte aus den Lautsprechern, so daß man sich gehörig anstrengen mußte, wenn man einem Gespräch folgen wollte. Weshalb ich mich dann irgendwann etwas gelangweilt über das kalte Buffet hermachte, das, wie ich anerkennend feststellen konnte, sehr lecker war. Kompliment an den Koch, oder besser gesagt, an die Köche, weil sicherlich einige der Anwesenden was mitgebracht hatten. Da gab es Nudelsalat, eine Schüssel war gefüllt mit grünem Salat und Tomaten, und wieder andere enthielten diverse Kartoffelsalate. Das übliche Zeugs eben, das man auf Partys essen konnte. Zu Trinken war auch reichlich vorhanden, leider, da ich jetzt schon wußte, daß ich hier ganz sicher nicht nüchtern rausgehen würde. Also schenkte ich mir Wein ein und beobachtete, mit dem Glas in der Hand, die illustre Gesellschaft, die zum Feiern gekommen war. Die meisten Leute hatten sich schön zurecht gemacht, besonders die Frauen, für meinen Geschmack aber ein wenig übertrieben für so einen Abend. Und die Kleider waren eindeutig zu teuer. Man mochte meinen, Gast einer Modenschau zu sein. Ich hatte meine Freundin gar nicht so eingeschätzt. Doch offensichtlich legte sie großen Wert auf Äußerlichkeiten. In Gedanken versunken betrachtete ich die jungen Männer. Meine Augen wanderten von einem zum nächsten. Ein paar hübsche waren schon dabei. Bedauerlicherweise hatten aber gerade die jeweils ein Mädchen am Arm. Plötzlich blickte ich in ein Gesicht, das mir nicht ganz unbekannt sein sollte. Ich überlegte, da ich erst nicht wußte, woher. Und da durchfuhr es mich, eine Mischung aus Schauder und einer Art Glücksgefühl, das ich mir nicht erklären konnte. Diesen Bann, diese Anziehungskraft vermochte nur ein Augenpaar auf mich auszuüben. Das Augenpaar dieser Frau. Dieser sonderbaren Frau, die ich vor einer Weile in jener Kneipe sah. Doch was tat sie hier? War sie etwa auch eingeladen worden oder kam sie in Begleitung? Ich fragte einen Freund, der mein Blickfeld durchquerte. Aber er kannte sie nicht, genauso wenig wie alle anderen, die ich auf sie ansprach. Vielleicht sollte ich selbst auf sie zugehen, ihr in die Augen sehen und sie zur Rede stellen. Bevor ich diesen Entschluß zu Ende fassen konnte, verlor ich sie. Schließlich drehte ich mich ein paar Mal im Kreis, war aber nicht in der Lage, sie zu entdecken. Plötzlich wurde mir heiß, ich glaubte fast zu glühen. Eine Hand berührte meinen Arm. Ich blickte um mich, und direkt in hellgrüne Augen. Ihre Augen. Eine Weile standen wir nur so da. „Du hast mich gesucht, nicht wahr?“, meinte sie schließlich und ließ ihre weißen Zähne in dem schummrigen Licht aufblitzen. Derart perplex wie ich war, brachte ich keinen Ton hervor. Obwohl es stimmte, was sie gesagt hatte, dachte ich, sie könne es unmöglich bemerkt haben. Außer, sie hatte mich beobachtet. Als sie begriff, daß von mir keine Antwort mehr kommen würde, fuhr sie fort: „Du gefällst mir. Ich möchte mit dir zusammen sein.“. Da ich noch nie so direkt angemacht worden war, und von einem Mädchen schon zweimal nicht, traute ich meinen Ohren nicht so recht. „Was?“, stammelte ich, verstummte aber gleich wieder. „Ach, egal.“, dachte ich, denn sie war auf ihre Weise sehr attraktiv. Und obwohl ich mir sicher war, daß ich nicht auf Frauen stand, hörte ich mich ihr über die laute Musik hinweg zurufen: „Wollen wir zu Dir oder zu mir?“.

Ich fand mich in meinem Bett wieder. Die Kissen waren zerknautscht, die Decke lag auf dem Boden. Man konnte durchaus die Vermutung anstellen, eine Bombe hätte in meinem Zimmer eingeschlagen. Die Klamotten, die ich am Abend getragen hatte, befanden sich irgendwo, nur nicht dort, wo sie eigentlich hätten liegen sollen. „Was für ein Teufelszeug habe ich nur getrunken?“. Mein Blick wanderte über den Fußboden, in der Hoffnung, irgendeine Erklärung zu finden. Und doch, da war etwas. Meine Augen blieben an einem Gegenstand hängen, der aussah wie ein zerknülltes Stück Papier. Ich hob es auf und entfaltete das Papierkneuel. In roten Buchstaben stand darauf geschrieben: „Es war schön mit Dir. Ich habe bekommen, was ich wollte.“. Beim Anblick dieser beiden Sätze fiel mir alles wieder ein. Letzten Abend war ich mit dieser Frau zu mir nach Hause gefahren. Im Schlafzimmer hatten wir begonnen, uns zu küssen, und eines war dem anderen gefolgt. Sie hatte die Begabung besessen, Lüste in mir freizusetzen, die ich nicht einmal in den kühnsten Träumen erahnt hätte. Lüste, die nach wilder, körperlicher Nähe dürsteten. Kein Mann hatte mir jemals das geben können, was ich in dieser Nacht erfahren durfte. Doch nun war sie fort. Und ich kannte noch nicht einmal ihren Namen.

Sie hatte mich sehr glücklich gemacht. Immer wieder dachte ich an den Abend der Party, an die Nacht, und an das unbeschreibliche Erlebnis, das ich sicher nicht vergessen werde. Schließlich hoffte ich, sie eines Tages noch einmal wiederzusehen. Und diese schönen sonderbaren Augen, die mich in ihren Bann gezogen hatten. Aber meine Wünsche erfüllten sich leider nicht. Ich begegnete ihr nicht mehr. Auch wenn mein Herz nach ihr verlangte, nach diesem Gefühl, das sie in mir erweckt hatte, hatte ich es schon für tot gehalten. Eine Frau war es gewesen. Und da erkannte ich plötzlich einen Sinn in den Worten, die sie damals auf das Stück Papier geschrieben hatte. Oh ja, sie hatte etwas von mir bekommen, etwas, was ich niemals wiederfinden sollte. In jener Nacht stahl sie mir den Glauben, jemals wieder glücklich mit einem Mann werden zu können.

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